Digitalisierung ist das Schlagwort in der Immobilienbranche. Schon seit einigen Jahren liest und hört man davon, wie die Digitalisierung die Immobilienwelt verbessern und vereinfachen wird, bei gleichzeitiger Erhöhung der Rendite.
Es sollen smarte Heizungsanlagen mit Energieverbrauchszählern eingebaut werden, welche die Daten direkt an die Hausverwaltungen übertragen. Alle Verbrauchsdaten sollen auf einem Server gespeichert und ausgewertet werden, um den Energieverbrauch zu optimieren. Die vorhandenen digitalen Daten sollen den einzelnen Einheiten über digitale Grundrisse zugeordnet werden. Mietverträge sollen digitalisiert vorliegen, damit sie über eine künstliche Logik hinsichtlich Laufzeiten und Mieterhöhungspotenzial ausgewertet können.
Bewertungssoftware KIM
Digitale Daten von Immobilien sind Mangelware
Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das alles ganz anders aus. Wenn der Sachverständige eine Immobilie bewerten soll, muss er die benötigten Informationen in der Regel mühsam auf dem traditionellen (analogen) Weg beschaffen. Es liegen in der Regel keinerlei digitalisierte Grundlagendaten vor. Aktuelle Baupläne und Grundbuchauszüge, Mieterlisten und Verbrauchsdaten, Baugenehmigungen und Schlussabnahmeschein: nichts davon liegt digital vor. Von einer zentralen Cloud, in der die Daten gespeichert, aktuell gehalten und zur Verfügung gestellt werden, ganz zu schweigen.
Ziel der Digitalisierung: der digitale Zwilling
Der digitale Zwilling, also das digitale Abbild der gesamten Immobilie, ist für die meisten Gebäude noch nicht realisierbar. Wie soll beispielsweise eine 3D-Darstellung generiert werden, wenn noch nicht einmal digitalisierte Grundrisse und Schnitte vorliegen.
Im Übrigen meint der digitale Zwilling nicht das von Maklern häufig genutzte 3D-Verfahren für online-Besichtigungen. Der digitale Zwilling geht weit darüber hinaus, indem er die räumlichen Daten mit rechtlichen oder energetischen Daten verknüpft. So könnten beispielsweise Mietverträge und Verbrauchsabrechnungen mit einem bestimmten Grundriss verknüpft werden. Über Zugangsregelungen könnte sichergestellt werden, dass nur bestimmte Personen auf die Daten zugreifen können.
Chancen von Immobilien mit digitalem Zwilling
Es gibt unzweifelhaft große Chancen für Gebäude mit einem digitalisierten Zwilling:
- Verkaufsinteressenten können sich einen schnellen Überblick über das Gebäude verschaffen: Passt das Objekt in mein Portfolio? Kann in dem Objekt die von mir gewünschte Rendite erzielt werden? Wie ist der energetische Zustand des Gebäudes? Lohnt es sich, den Verkaufsprozess zu starten?
- Bewertungssachverständige müssten nicht alle Informationen mühsam bei den Behörden besorgen. Das dauert mittlerweile viel zu lange, da die meisten Behörden selbst keine digitalen Daten vorliegen haben und darüber hinaus mit Unterbesetzungen zu kämpfen haben. Kein Auftraggeber kann heute mehr monatelang auf ein Gutachten warten, nur weil es ewig lange dauert, um analoge Informationen zu beschaffen.
- Hausverwaltungen können digitale Automatisierungsprozesse integrieren. Das wäre das Ende des Zettel- und Excel-Sammelsuriums, das man als Bewertungssachverständiger in der Regel von den Verwaltungen als Bewertungsgrundlage erhält. Viele Hausverwaltungen haben immer noch Probleme aktuelle Mieterlisten zu generieren. Wenn dann der Wertermittlungsstichtag auch noch in der Vergangenheit liegt, ist man meistens mit der Weisheit am Ende.
Anforderungen an Digitalisierung von Immobilien werden verschärft
Im institutionellen Bereich, in dem große Immobilien für viel Geld den Eigentümer wechseln, ist die Digitalisierung schon etwas weiter vorangeschritten. Aber auch hier ist noch viel Nachholpotenzial vorhanden. Im Zuge der neuen europäischen und nationalen Vorschriften zur energetischen Optimierung von Gebäuden werden sich die Anforderungen zur Digitalisierung noch weiter verschärfen.
Fazit: Gebäude, für die digitalisierte Daten vorliegen, haben bessere Verkaufschancen, womit auch der Wert dieser Objekte höher sein wird, als der Wert von Gebäuden mit einer analogen Datengrundlage. Es macht also auch für jeden Hauseigentümer Sinn, die Digitalisierung rechtzeitig anzugehen.